Lachmuskeltraining bei Goethes „Faust“

Von Hermann-Luc Hardmeier. Im Stadttheater Schaffhausen inszenierten zwei Schauspieler „Faust“ werktreu und dennoch zum Brüllen komisch.

„Egal wie dicht du bist, Goethe war Dichter.“ Dies ist einer der wenigen Witze, die man über den Jahrhundertschriftsteller kennt. Der Spruch ist weder von ihm selber noch aus seiner Zeit, sondern geistert als Witz auf Facebook und anderen sozialen Plattformen durchs Internet. Das einzig Wahre daran ist die Anspielung auf Goethes Alkoholkonsum. Ansonsten alles falsch, denn Goethe war nicht lustig. Bis jetzt nicht. Am Mittwochabend änderte dies schlagartig. Michael Quast und Philipp Mosetter lasen das Stück „Faust“ im Stadttheater und schafften den Spagat zwischen Humor und Werktreue par excellence. Zwei Männer, zwei Schreibtische – ein Buch. Der Vorleser Michael Quast kam vergnügt, pfeifend und Donald Duck imitierend auf die Bühne, gefolgt vom Intellektuellen Philipp Mosetter mit Anzug, Krawatte und ernstem Gesicht. Voller Energie, voller Melodramatik und Hingebung begann Quast mit der Lesung, und wurde sofort von Mosetter gebremst. „Faust ist ein Klassiker. Der Klassiker schlechthin“, sagte er und insistierte, dass der Vorleser das Werk auch dementsprechend vortragen müsse. Allein die ersten drei Worte von Faust musste er etwa fünf Mal wiederholen, bis er den berühmten Seufzer „ach“ richtig auszusprechen vermochte. Damit er in Stimmung kam, musste er sich vorstellen, den Text als alter zittriger Mann ohne Zähne zu rezitieren. Das Publikum hatte Tränen in den Augen vor Lachen. In der Schülerszene oder in der Person des Mephistopheles sind zwar einige dezent witzige und augenzwinkernde Episoden im Faust angelegt. Doch was die beiden Schauspieler im Stadttheater aus dem historischen Stoff machten, war völlig unerwartet. „Genial“, kommentierte ein Zuschauer das Schauspiel in der Pause und ein anderer meinte: „Sie machen es humorvoll, ohne das Stück zur Sau zu machen. Es wird dem Werk gerecht.“ Philipp Mosetter gab den biederen Literaturkritiker. Immer wieder unterbrach er den Vorleser mit Hinweisen auf Vokabeln, Zusammenhänge und Hintergründe. Lustigerweise immer genau dann, wenn Michael Quast so richtig in Fahrt gekommen war. Im Studierzimmer sprach er mit einer Handpuppe, die dem Teufel eines Kasperli-Theaters verdächtig glich, in der Hexenküche imitierte er Affen und Katzen, er spielte eine Bluesband oder einen Geist, der überall gleichzeitig seine Stimme haben musste. Ein herrliches Talent, das nur einmal stockte: „Diese Stelle verstehe ich nicht.“ – „Das ist eine Sexualmetapher“, konterte der Herr der Fussnoten. Und gleich konnte man wieder das Feuer in den Augen des Vorlesers brennen sehen. Die zwei unterhielten köstlich und spielten die wichtigsten Szenen des Buches. Es war eine grossartige Erfahrung für die Zuschauer, dass nicht nur die intellektuelle, sondern auch die witzige Seite von Goethe zu begeistern vermochte.

Von Hermann-Luc Hardmeier. Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“ am 1. April 2016.