In Molières Stück «Menschenfeind» ging es um die Frage, ob es immer klug ist, die Wahrheit zu sagen. Eine Theaterkritik von Luc Hardmeier.
Bericht: Luc Hardmeier, Foto: Tanja Dorendorf.
«Ich hasse alle Menschen!», mit diesem und ähnlichen Zitaten machte der Protagonist Alceste schnell klar, dass er vordergründig wenig Freude am Leben hat. Am Freitagabend lud das Theater Kanton Zürich in Feuerthalen zur Komödie von Molière ein. Es hätte eigentlich ein perfekter Sommerabend mit einem Freilichtspiel auf dem Stumpenboden werden sollen. Doch die Kälte und Regengefahr zwangen die Schauspieler in die sichere Turnhalle. Diese war jedoch gut besucht und die Gäste durften sich zunächst vom Frauenverein Feuerthalen bewirten lassen. Nach einer kurzen Begrüssung durch Gemeinderat Holger Gurtner startete sodann das zweistündige Schauspiel. Die schlechte Laune des Antihelden Alceste sorgte zunächst für einige Lacher. Er wollte keine Freunde haben und verfluchte sogar potentielle Weggefährten, die ihm die Hand reichen wollten. Besonders hart traf es dabei den mässig talentierten Poeten Oronte. Er trug Alceste ein Sonett vor, welches dieser mit Verachtung strafte. «Am besten verstecken Sie dieses Sonett unter dem Bett. In einem Koffer», so Alcestes vernichtender Kommentar. Er ging sogar noch weiter und warf Oronte vor, dieser könne nicht dichten. Oronte zog darauf als beleidigte Leberwurst vor Gericht und die mögliche Freundschaft endete in einer Feindschaft, welche sich auch noch auf einer anderen Ebene zeigte. Beide hatten ein Auge auf die Wittwe Célimène geworfen. Diese feierte wilde Feste und umgab sich stets mit einer Gruppe von Menschen, die sie bewunderten, anhimmelten und sich von ihr unterhalten liessen. Es stellte sich heraus, dass Alceste doch nicht alle Menschen hasste, sondern eine glühende Liebe für Célimène entfachen konnte. Auch wenn sein Verhalten voller Widersprüche war. Hier zeigte sich die Stärke von Molières Stück. Alceste war nicht einfach ein plumper Nörgler, sondern ein verletzlicher Idealist, der eigentlich die wahre Liebe suchte. Célimène war nicht nur kokett, sondern auch scharfsinnig und selbstbestimmt. Die Figuren im Stück waren nicht einfach stereotypisch, sondern trugen innere Widersprüche in sich, welche dem Stück eine gewisse Tiefe gaben. Auch die Zeitlosigkeit des Theaters aus dem Jahre 1666 stach hervor. Alceste weigerte sich, gesellschaftliche Konventionen und höfische Heuchelei zu akzeptieren. Er liess sich nicht blenden und sprach unbequeme Wahrheiten aus. Unter der Regie von Elias Perrig stellte das Stück Molières zentrale Frage in aller Deutlichkeit: Wie viel Wahrheit verträgt der Mensch und die Gesellschaft? Dieser gesellschaftliche Klimmzug in der Turnhalle Feuerthalen war gelungen und klagte ganz offensichtlich auch heutige Politiker oder die Medienwelt an. Diese Botschaft war gut verpackt in wilden Tänzen, intelligenten Dialogen und kreativen Kostümen des Theaters Kanton Zürich. Natürlich war nicht alles perfekt. Einige Dialoge waren etwas langatmig gestaltet und auf der Bühne hätte ein Schuss mehr Action durchaus Platz gehabt. Doch insgesamt war dies ein sehr gelungener Theaterabend. Alceste vermasselt sich zwar ein Happy End mit Célimène, weil sie sich nicht mit ihm aus der Gesellschaft zurückziehen wollte, um auf dem Land zu leben. Doch er liess sich dadurch nicht beirren. Es schien fast so, als käme ihm dieses Scheitern gerade recht, um noch gnadenloser die Gesellschaft kritisieren zu können.
Von Luc Hardmeier. Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“ am Montag, 26. Mai 2025.